Fallstricke – Digitale Bearbeitungsprozesse einführen

Stapel Briefe

Liebe Postprofis,

viele Unternehmen und öffentliche Organisationen haben sich die Einführung von digitalen Bearbeitungsprozessen in der Verwaltung vorgenommen und viele scheitern an dem Vorhaben – wenn man genau hinsieht!

Ja, dargestellt werden die Ergebnisse anders! Man ist schon stolz darauf, wenn man Rechnungen im Posteingang scannt und an die Buchhaltung weitergibt oder Akten für die Fachabteilungen scannt. Aber Digitalisierung meint in diesem Zusammenhang etwas anderes!

Es geht darum das gesamte Input-Management mit den nachgelagerten Arbeitsprozessen papierlos bzw. so papierarm wie möglich durchzuführen. Das betrifft viele Geschäftsprozesse von der Buchhaltung über den Service, die Kundenbetreuung, Personalabteilung, Vertragsverwaltung in der Rechtsabteilung, um nur einige zu nennen. In öffentlichen Einrichtungen sind es die Abläufe in den verschiedenen Amtsbereichen, die es umzustellen gilt.

Mit der Digitalisierung von Dokumenten, sprich dem Scannen und elektronischen Bereitstellen hat das nur im Ansatz zu tun. Die eigentliche Wertschöpfung erfolgt in den nachgelagerten Fachbereichen, nicht in der Poststelle. Letztere hat in der Regel mehr Arbeit und braucht höherqualifizierte Mitarbeiter.

Warum tun sich die Organisationen mit der Umsetzung dieses ganzheitlichen Ansatzes so schwer? Anbei die wichtigsten Gründe aus unseren Projekterfahrungen zusammengetragen:

  • Es gibt zwar ein globales Bekenntnis der Geschäftsleitung zur Digitalisierung, aber die erforderlichen fachübergreifenden Notwendigkeiten zur Reorganisation werden nicht klar genug adressiert und mit konkreten Massnahmen unterfüttert.
  • Digitalisierung wird unterschätzt und man macht sich zu allererst Gedanken über die Technik und nicht über die Organisation und die Arbeitsabläufe.
  • Es gibt keinen Gesamtverantwortlichen für das Projekt, der exklusiv die Projektorganisation übernimmt. Der benannte Verantwortliche macht das Projekt neben seinem Tagesgeschäft. Er hat nicht genügend Kompetenz, berufen durch die Geschäftsleitung.
  • Die IT leitet das Projekt. Sie hat aber oftmals nicht ausreichend Fachkenntnisse in diesem Spezialgebiet. Und Reorganisation der Abläufe hat sie schon erst recht nicht „auf dem Schirm“.
  • Banale Einstiegsfragen werden zu spät angegangen: Wo kommt die physische Post an, wer darf sie öffnen, was machen wir mit der Werbepost?
  • Die Fachbereiche blocken, wenn es an die Umsetzungsplanung geht: Tätigkeiten werden nach vorhandenen Arbeitskapazitäten verteilt und nicht nach Prozesslogik. Der Klassiker: Die Poststelle sortiert die Digitalisierungspost aus, trägt sie in die Fachabteilung und dort wird gescannt. Der Grund: Die Poststelle bräuchte mehr Kapazität für das Scannen und Vorbereiten, hat diese aber aktuell nicht. Die Fachabteilung nutzt die eingesparten Zeiten für das Erfassen der Daten und scannt die Post. Aus Prozess- und Kostensicht dreht sich einem der Magen um!
  • Die Personalabteilung und die Geschäftsleitung oder der Verwaltungsrat werden im Projekt nicht frühzeitig eingebunden. Es werden sich Arbeitsinhalte, Arbeitszeiten und Einkommensverhältnisse der Mitarbeiter skillbasiert verändern. Es muss ein längerfristiger 2-5 Jahresplan zur bereichsübergreifenden Reorganisation der Verwaltung aufgesetzt werden, um Kündigungen zu vermeiden und um auszuschliessen, dass Mitarbeiter in den zukünftigen Tätigkeiten über- oder unterfordert sind.
  • Bei der Einführung lässt man sich nicht ausreichend Zeit, um die Mitarbeiter zu schulen und auszubilden.
  • Ein letzter sehr schwerwiegender Grund kommt hinzu: Es braucht eine andere als die klassische Projektarbeit. Digitalisierungsprojekte sind wie beschrieben bereichsübergreifende und langfristige Projekte. Man kann sie nicht mit der klassischen Wasserfallmethode“ umsetzen: Detaillierte Kosten- und Projekt-Planung, Festschreibung der Meilensteine, Lastenhefte, Pflichtenhefte, Umsetzung nach Plan. Die Rahmenbedingungen ändern sich in unserer vernetzten und schnelllebigen Welt zu schnell. Man braucht einen globalen Gesamtplan und muss dann in kleinen, agilen Projektschritten bausteinweise Einzelteile des Projekts umsetzten und abschliessen ohne das Gesamtziel aus den Augen zu verlieren.

Und „Pro Domo“ gesprochen: Natürlich ist bei der Umsetzung auch externes Know-How erforderlich. Fachlich gesehen, in den Spezialtechnologien und organisatorisch was die Erfahrungen aus anderen Unternehmen und Projekten betrifft. Ein externer Partner kann unangenehme Wahrheiten leichter und ohne Folgen für seine Karriere sagen, im Gegenteil, das wird von ihm erwartet.

Autor: Klaus Gettwart
Fachexperte und Seminarleiter der InfoLog Akademie.